Munich Roots. Ein Nachbericht
Das Münchner Stadtmuseum hatte vom 4. bis 8. November insgesamt acht Familien mit 18 Teilnehmer*innen unterschiedlichen Alters aus Argentinien, Amerika, England, Israel, Italien und Deutschland zu Gast. Anlass war die Restitution von Silberobjekten aus der sogenannten Silberzwangsabgabe von 1939 an die Familien.
Das Silberprojekt
Die Provenienzforscherin des Münchner Stadtmuseums, Dr. Regina Prinz, startete im Frühjahr 2023 ein Forschungsprojekt zur Ermittlung der Erb*innen für die Rückgabe von 140 Silberobjekten aus der sogenannten Silberzwangsabgabe von 1939. Diesem Projekt waren intensive Recherchen gemeinsam mit dem Bayerischen Nationalmuseum vorangegangen, die es erstmals ermöglichten, diese 140 Silberobjekte insgesamt 46 Familiennamen zuzuordnen.
Seitdem recherchiert das Münchner Stadtmuseum zu den Nachfahr*innen der betroffenen Familien, um die Stücke an die rechtmäßigen Eigentümer*innen zurückgeben zu können. Für diese umfangreiche internationale Erb*innensuche erhielt das Museum eine Förderung vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. Bis Dezember 2024 konnten bereits 86 Silberobjekte an 26 Familien restituiert werden, weitere 15 Fälle sind in Vorbereitung.
Im Zuge des Projekts kontaktierte das Projektteam bestehend aus Dr. Regina Prinz und Dr. Marius Wittke mit Unterstützung von Rebecca Friedman (Holocaust Claims Processing Office, New York) über 30 Familien auf der ganzen Welt. Im Dialog stellten die Familien viele Fragen, etwa nach den Wohnorten ihrer Vorfahr*innen, nach deren Berufen und ihren Grabstätten. So entstand die Idee, die Familien nach München einzuladen, um diese Fragen vor Ort zu beantworten und ihnen individuell und persönlich einen Einblick in ihre "Münchner Wurzeln" zu vermitteln. Einige der Gäste waren zum ersten Mal in Deutschland und in München, der einstigen Heimat ihrer Vorfahr*innen.
Eine Woche der Begegnung und Erinnerungsarbeit
Mit der Unterstützung von elf Kooperationspartnern organisierte das Münchner Stadtmuseum für fünf Tage ein vielseitiges Programm aus Workshops, Vorträgen und Führungen. Die Woche war geprägt von intensiver Beschäftigung mit der Vergangenheit und bewegenden Momenten.
Der Eröffnungsabend im NS-Dokumentationszentrum bildete den Auftakt der gemeinsamen Woche, bei dem sich alle Besucher*innen erstmals kennenlernen und die Kooperationspartner*innen für diese Woche persönlich treffen konnten.
Ein emotionaler Moment des Eröffnungsabends war unter anderem das erste Zusammentreffen zweier Familienzweige aus den USA und Argentinien, die sich zuvor gar nicht kannten. "Munich Roots" bot ihnen die Möglichkeit, sich zum ersten Mal persönlich in München zu sehen.
Spurensuche in den Archiven
Die Workshops im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und Staatsarchiv München sowie im Stadtarchiv München bildeten die Kernpunkte der Veranstaltungswoche, in denen die Teilnehmer*innen zahlreiche neue Erkenntnisse zu ihrer Familiengeschichte gewinnen konnten.
Zur Einführung gaben die Archivar*innen einen Überblick über die Archivstrukturen, die Art der Quellenbestände und deren Relevanz für die Familienforschung. Im Anschluss konnten die acht Familien die individuellen Aktenbestände ihrer Vorfahr*innen in die Hand nehmen, durchblättern und erforschen. Hierbei erhielten sie eine individuelle Unterstützung beim Lesen, Übersetzen und Einordnen der Dokumente.
"Being able to touch documents that belonged to our ancestor and that have probably been touched by some Nazi at that time has had a very strong emotional impact. Everything was very moving, some documents in particular we will never forget." (eine Teilnehmerin)
Im Staatsarchiv und Hauptstaatsarchiv konnten die Teilnehmer*innen mit den Dokumenten aus der Zeit des Nationalsozialismus und der Nachkriegsjahre, wie beispielsweise Vermögensverzeichnisse, Entschädigungs- und Wiedergutmachungsakten, arbeiten. Diese Unterlagen zeigen eindrücklich den Verlust des Besitzes und die oft bürokratisch schwierigen und langwierigen Rückerstattungsverfahren.
Im Stadtarchiv konnten unter anderem Meldebögen und standesamtliche Unterlagen entdeckt werden, die es ermöglichten, das alltägliche Leben der Vorfahr*innen nachzuvollziehen. Das Auffinden von Fotos unbekannter Familienmitglieder waren dabei ganz besondere Momente.
Weitere Quellen im Stadtarchiv belegen wiederum die Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten, unter anderem Dokumente zur Silberzwangsabgabe, wie zum Beispiel ein Adressbuch aller Jüdinnen und Juden, die von dieser Maßnahme betroffen waren. Für mehrere Familien lagen auch Kennkarten-Doppel mit Porträtfotos ihrer Vorfahr*innen vor.
"The workshops produced very interesting insights into my grandfather's life in Munich. […] Finding the records of my grandfather's loss of his doctorate and right to practice as a lawyer was also moving." (eine Teilnehmerin)
Die Teilnehmer*innen hatten außerdem die Gelegenheit, eigene Dokumente aus ihrem Familienbesitz zu dem Workshop im Stadtarchiv mitzubringen.
Momente der Verbundenheit
Bewegende Momente gab es auch bei dem Besuch der Familiengräber auf dem Israelitischen Friedhof und in der Synagoge Ohel Jakob. Im "Gang der Erinnerung" in der Synagoge konnten die Teilnehmer*innen die Namen ihrer Vorfahr*innen auf der künstlerischen Installation von Georg Soanca-Pollak finden. Auf den hinterleuchteten Glasplatten stehen die Namen von über 4.500 Münchner Jüdinnen und Juden, die während der Zeit des Nationalsozialismus deportiert und ermordet wurden.
"I felt most connected at the cemetery and Synagogue – it was very moving." (eine Teilnehmerin)
Auch bei dem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau wurde das Archiv für die Teilnehmer*innen geöffnet, um die individuellen Quellen ihrer Vorfahr*innen zu sichten. Ein Teilnehmer fand dort das Originaldokument mit dem Eintrag von 1938, dass sein Vater nach der Reichskristallnacht für sechs Wochen in Dachau interniert war.
Einblicke in die Stadtgeschichte und Museumsbesuche
Grundlegende historische Kenntnisse zur Zeit des Nationalsozialismus wurden im NS-Dokumentationszentrum, im Zentralinstitut für Kunstgeschichte sowie bei einer thematischen Stadtführung vermittelt.
Museumsführungen zu "Bildgeschichten. Münchner Jüdinnen und Juden im Porträt" im Jüdischen Museum München und zur aktuellen Ausstellung des Münchner Stadtmuseums "Jugendstil. Made in Munich" in der Kunsthalle sowie ein Baustellenbesuch des Münchner Stadtmuseums rundeten das Programm ab.
Von der Vergangenheit in die Zukunft
Ein abschließender Workshop mit fünf Kurzvorträgen bot Impulse, wie Familienforschung und Erinnerungsarbeit nach „Munich Roots“ weitergeführt werden können. Themen wie die Beantragung von Erinnerungszeichen (Barbara Hutzelmann, Public History) oder weitere interessante Projekte zum jüdischen Leben und kulturellen Erbe in Bayern (Meyrav Levy, Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern) wurden vorgestellt. Rebecca Friedman vom Holocaust Claims Processing Office in New York, die während der gesamten Woche die Gruppe begleitet hatte, erläuterte ihre Unterstützung bei weiteren Recherchen.
Zwei Berichte zeigten inspirierende Möglichkeiten der Erinnerung an die Familiengeschichte und gemeinsamen Perspektiven in der Zukunft auf. Antonia Cox präsentierte ihre kürzlich erschienene Buchpublikationen zu den Kinderbriefen ihres Vaters, Edgar Feuchtwanger, aus dem Exil von 1939. Jamie Hall erläuterte die Vereinsgründung und Projektidee von The Wallach Project der Nachfahr*innen der Inhaber des bekannten Münchner Trachtengeschäfts.
Auch der Beauftragte der Bayerischen Staatsregierung für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus, für Erinnerungsarbeit und geschichtliches Erbe, Dr. Ludwig Spaenle, hat den Workshop besucht und ein persönliches Grußwort an die Teilnehmer*innen gerichtet.
"So memorable, so welcoming, so wonderful!" (eine Teilnehmerin)
Feierlicher Abschluss
Einige Familien entschieden sich für eine Schenkung der restituierten Objekte an das Jüdische Museum München oder das Münchner Stadtmuseum. Den Familien war besonders wichtig, dass die Geschichten der Objekte und die tragischen individuellen Familienschicksale öffentlich gezeigt und erzählt werden. Bei einer feierlichen Abendveranstaltung im Jüdischen Museum wurden diese Silberobjekte mit persönlichen Redebeiträgen von Familienmitgliedern präsentiert.
"Es war für mich eine 'once in a lifetime' Erfahrung mit bewegenden Begegnungen voller Wärme, Herzlichkeit und Zusammengehörigkeit – und das obwohl die Familien sich vorher gar nicht kannten." (eine Teilnehmerin)
Ein neues Format
Die zum Teil kleinen Silberobjekte haben für die Familien einen Prozess in Gang gesetzt, sie wurden zum Auslöser für eine intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit. Diese emotionalen Objekte befördern zum einen den Blick zurück, das Erforschen der Münchner Stadtgeschichte mit der eigenen Familie, aber sie bereiten auch den Weg in die Zukunft, schaffen etwas Neues und stellen Verbindungen in alle Welt her. Derzeit ist geplant, das Projekt 2025 mit weiteren Familien zu wiederholen.
"The entire trip was wonderful, and I want to say again that I am grateful for all your planning and work to make the connection to the lives of our ancestors more complete. I appreciate just as much the warmth and interest with which you received us." (ein Teilnehmer)
Ein besonderer Dank geht an die elf Kooperationspartner für ihre Unterstützung:
- Bayerisches Hauptstaatsarchiv
- Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern
- Jüdisches Museum München
- KZ-Gedenkstätte Dachau
- Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern
- NS-Dokumentationszentrum München
- Public History München
- Staatsarchiv München
- Stadtarchiv München
- Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München
- Zentralinstitut für Kunstgeschichte
Mehr zur Recherche im Hauptstaatsarchiv
Besuchsinformation
Öffnungszeiten
Die Ausstellungen des Münchner Stadtmuseums sind aufgrund der Generalsanierung aktuell geschlossen. Das Kino des Filmmuseums bleibt weiterhin wie gewohnt bis Juni 2027 in Betrieb.
Informationen zur Von Parish Kostümbibliothek in Nymphenburg
Filmmuseum – Vorstellungen
Dienstag / Mittwoch 18.30 Uhr und 21.00 Uhr
Donnerstag 19.00 Uhr
Freitag / Samstag 18.00 Uhr und 21.00 Uhr
Sonntag 18.00 Uhr
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