
Familie Gogoberidse
Familie Gogoberidse

Mütter, Töchter, Filmemacherinnen
»Dissidentisch in seiner Natur«, »weltoffen, lebensbejahend «: Lana Gogoberidses filmisches Werk lässt sich zunächst mit jenen Worten charakterisieren, die sie selbst in ihrer Autobiografie mit dem Titel »Ich trank Gift wie kachetischen Wein« (2019) für das georgische Aufbruchskino der 1960er- und 1970er-Jahre verwendet hat.
Entstanden über einen Zeitraum von mehr als 60 Jahren, sind ihre Filme zudem formal, stilistisch und in der Wahl der Sujets sehr unterschiedlich – so wie vielleicht auch die Regisseurin in ihrem Leben viele Berufungen neben dem Drehbuchschreiben und Filmemachen hatte und hat: Sie ist leidenschaftliche literarische Übersetzerin, vor allem von englischsprachiger Poesie, sie war in ihrem Land Parlamentsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende, Kämpferin für die internationale Vernetzung von Frauen im Film (als Präsidentin von KIWI – Kino Women International) sowie ständige Vertreterin Georgiens im Europarat in Straßburg. Und wie es ihr aktuellster, stark autobiografischer Spielfilm OKROS DSAPI (DER GOLDENE FADEN), 2019, in einer Szene verrät, ist Lana Gogoberidse darüber hinaus passionierter Sportfan: Die Hauptfigur, Schriftstellerin Elene – gespielt von Nana Dschordschadse, einer weiteren bedeutenden georgischen Regisseurin –, sitzt vor dem Fernseher; sie ist völlig gefesselt von Roger Federers »elegantem und noblem« Tennisspiel, als ein alter Verehrer sie mit einem Anruf beim Schauen des Matches stört. Eine trivial-sportliche Abschweifung? So trivial und lebensnah, wie eben der (allzu)menschliche Alltag, der immer Teil der Gogoberidse-Filmwelten ist. Verwoben zudem mit ihrer Problematisierung von Geschlechterrollen, mit dem Verhältnis zwischen den Generationen, mit Fragen des Politischen. Meist sind es Lebenserfahrungen und Perspektiven von Frauen, die im Fokus ihrer Filme stehen, meist das Schicksal einzelner Menschen (Gruppen) vor dem Hintergrund der (totalitären) Geschichte. Und es fällt die Begeisterung der Regisseurin auf, mit der sie schöne, ausdrucksstarke, ungewöhnliche Gesichter in Szene setzt.
Es war längst überfällig, das filmische Gesamtwerk von Lana Gogoberidse wiederzuentdecken und es einem heutigen Publikum zugänglich zu machen, als das Wiesbadener goEast-Filmfestival in Kooperation mit der Frankfurter Kinothek Asta Nielsen zehn Spielfilme der insgesamt dreizehn Regiearbeiten Gogoberidses im Jahr 2022 in einer Hommage zeigte. Sechs der Filme waren zu diesem Anlass vom Georgian National Film Centre neu digitalisiert worden, dank der Bemühungen des damaligen Leiters Gaga Chkheidse, sowie weiterer georgischer und internationaler Institutionen. Verhindert wurde eine kontinuierliche internationale Rezeption einerseits durch die Tatsache, dass die Regisseurin immer wieder mit der sowjetischen Zensur zu kämpfen hatte und dass die in Georgien dramatischen Umbruchsjahre ab 1989 mitten in ihr Regie-Berufsleben platzten und andererseits durch die Tatsache, dass die georgische Filmgeschichte, wie die der meisten ehemaligen Teilrepubliken der UdSSR im russischen Gosfilmofond archiviert ist. Die mühsam wieder aufgenommenen Fäden zum Archiv sind seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine erneut gekappt.
Das Filmemachen folgt in Gogoberidses Intellektuellen- und Künstler*innen-Familie einer matrilinearen Logik, in dritter Generation. Lana Gogoberidse wurde am 13. Oktober 1928 in Tbilisi geboren und wuchs bei einer Tante auf. Ihr Vater Lewan Gogoberidse fiel 1937 dem Großen Terror zum Opfer: »Wie Millionen andere im Laufe der Weltgeschichte hat die Revolution meinen Vater zunächst adoptiert, dann zu ihrer Waffe gemacht und schließlich verschlungen und vernichtet«, schreibt Gogoberidse. Ihre Mutter Nutsa Gogoberidse (1902− 1966), Georgiens erste Regisseurin, wurde im selben Schicksalsjahr als »Familienmitglied eines Vaterlandsverräters « verhaftet und überlebte zehn Jahre Gulag. Sie kam im Alter von 45 Jahren zurück nach Tbilisi. Lana, inzwischen eine junge Frau, musste ihre eigene Mutter neu kennenlernen. Nutsa Gogoberidse hatte zunächst Philosophie an der Universität in Jena studiert. Ihr Spielfilm UJMURI von 1934 war einer der ersten sowjetischen Spielfilme in Regie einer Frau und setzte ihrer Regiekarriere sogleich ein Ende, da er nach seiner Premiere verboten wurde. Davor hatte Nutsa Gogoberidse mit ihrem Freund und Kollegen Micheil Kalatosischwili (später Kalatozov) den Film MATI SAMEPO (IHR KÖNIGREICH), 1928 gedreht. UJMURI erzählt mit sehr expressiven Kontrastmontagen, Bildkompositionen und Charakteren von der Kollision zwischen Tradition und Moderne. Bei einer Sumpftrockenlegung in der Region Samegrelo treffen lokaler Volksglaube und sowjetisches Modernisierungsprojekt aufeinander. Titelgebend ist eine Göttin, die laut Legende in den Sümpfen wohnt und sich Eindringlingen widersetzt. Eine andere Naturgewalt – ein Gletscher in über 4.000 Metern Höhe – gab bereits Nutsas erster Solo-Regiearbeit den Titel: BUBA, ein »Kulturfilm« von 1930. Das hoffnungsvolle Projekt einer technisierten Zukunft wird mit dem harten Lebens- und Arbeitsalltag der Menschen in der Hochgebirgsregion Ratscha kontrastiert. Auffällig inmitten der Darstellung existenzieller Härte und der ideologischen Rahmung ist der Humor, der den Film durchzieht.
BUBA und UJMURI sollten viele Jahrzehnte verschollen bleiben. Gemeinsam mit ihren Töchtern gelang es Lana Gogoberidse, die Filme 2013 (BUBA) und 2018 (UJMURI) in Archiven zu finden und endlich selbst zu sehen – hatte doch ihre Mutter ihr gegenüber nie von der eigenen Arbeit als Regisseurin gesprochen.
Auch eine von Lana Gogoberidses Töchtern, Salomé Alexi, ist Filmemacherin geworden. Sie spielt in einigen der Filme ihrer Mutter und ist Regie-Absolventin von La Fémis in Paris. 2014 drehte sie ihren ersten Spielfilm, KREDITIS LIMITI (KREDITLINIE), die tragisch komische Geschichte einer Tbiliser Familie, die einst in der UdSSR zu den Bessergestellten gehörte und in der Gegenwart der georgischen Finanzkrise von 2009 bis 2013 in eine finanzielle Abwärtsspirale gerät. Salomé Alexi stellt derzeit ihren zweiten Langspielfilm fertig, sodass man auf eine baldige Festivalpremiere hoffen darf.
Zum gesamten Text von Gaby Babić und zum pdf der Filmreihe mit allen Titeln und Terminen.
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