
60 Jahre Filmmuseum
60 Jahre Filmmuseum

»Flimmerndes Panoptikum im Stadtmuseum. Heute Eröffnung der Abteilung Film« titelte die Süddeutsche Zeitung am 30. November 1963. Zur Eröffnung war Henri Langlois, Leiter der Cinémathèque Française, angereist, dessen Rede von Lotte Eisner aus dem Französischen übersetzt wurde. Das Büffet spendete Walt Disney, der erste Film im 144 Plätze fassenden Kino im ersten Stock im Gsaengertrakt des Stadtmuseums war DER PROZESS von G.W. Pabst. Als erste Einrichtung ihrer Art in Deutschland leistete das Filmmuseum Pionierarbeit. Das anfangs nur an drei Wochentagen gezeigte Programm wurde in den folgenden Jahrzehnten zu einem täglichen Spielbetrieb mit zwei Vorstellungen am Tag ausgeweitet. Die zunächst noch regelmäßigen Ausstellungen wurden aufgegeben zugunsten des Sammelns und Archivierens von Gesamtwerken von international tätigen Filmemachern wie Vlado Kristl, Jean-Marie Straub, Werner Schroeter, Katja Raganelli oder Thomas Harlan und der Restaurierung und Rekonstruktion von Filmklassikern wie METROPOLIS, NOSFERATU, LOLA MONTEZ und O.K. Gründungsdirektor des Filmmuseums war von 1963 bis 1973 der Remigrant Rudolph S. Joseph, der mit Augusto Genina und Gustav Machatý sowie in Hollywood mit Douglas Sirk zusammengearbeitet hatte. Er brachte Filmemacher wie King Vidor oder Josef von Sternberg nach München, aber auch jüngere Regisseure wie Michelangelo Antonioni oder Federico Fellini. Sein Nachfolger Enno Patalas hatte sich bereits einen Namen als scharfzüngiger Filmkritiker und -historiker gemacht, bevor er das Filmmuseum 1973 übernahm. Seine Nähe zu den Regisseuren des Jungen Deutschen Films schlug sich ebenso in seiner Arbeit nieder wie seine Bemühungen, große Filmklassiker zu restaurieren und wieder in ihre ursprüngliche Form zu bringen. Er vollzog 1977 den Umzug des Kinos in das Untergeschoss des wiedererrichteten Marstallgebäudes, wo es bis heute mit seinen 165 Plätzen beheimatet ist. 1994 ging er in den Ruhestand. Auf ihn folgte Jan-Christopher Horak, der 1994 vom George Eastman House kam und 1998 wieder in die USA zurückkehrte. Seit 1999 leitet Stefan Drößler das Filmmuseum, der zuvor die Bonner Kinemathek aufgebaut hatte. Unter ihm wurde die Technik des Filmmuseums 2003 auf den neuesten Stand gebracht, 2005 das DVD-Label »Edition Filmmuseum« gegründet, 2009 eine digitale Filmprojektion eingerichtet, 2020 ein Online- Kino eingeführt und 2021 erstmals die Open-Air- Vorführung von Stummfilmen im großen Innenhof des Stadtmuseums veranstaltet.
In einer Zeit, in der sich kommerzielle Kinos mühsam gegen eine Eventkultur behaupten müssen, die vornehmlich auf Glamour und aktuelle Filme setzt, weitet sich das Feld der kulturellen Filmarbeit beständig. »Andere Filme anders zeigen« war das Motto, unter dem Anfang der 1970er Jahre in vielen deutschen Städten kommunale Kinos entstanden. »Andere Filme« sind die Werke, die im kommerziellen Kinobetrieb, auf Festivals und im Fernsehprogramm vergessen werden, Filme jenseits von kurzlebigen Modetrends und zeitgeistigem Mainstream, filmhistorische Klassiker, Stummfilme, Produktionen aus wenig bekannten Ländern, Experimentalfilme und innovatives Autorenkino, Dokumentarfilme und zeithistorische Dokumente in ihrer ursprünglichen Form. »Anders zeigen« steht für eine Auseinandersetzung mit dem Film, die über die reine Unterhaltung hinausgeht und ästhetische, thematische und zeithistorische Zusammenhänge reflektiert. Aufgabe des Filmmuseums ist es, künstlerisch relevante Entwicklungen zu erkennen und zu begleiten, Geschichte nicht als verstaubte Vergangenheit zu begreifen, sondern sie in Beziehung zu gegenwärtigen Themen zu setzen, die Auseinandersetzung mit dem Medium auch im Schreiben über Film und Kino zu pflegen, und klare Werte und Leitlinien zu entwickeln, die durch den immer unüberschaubareren Angebotsdschungel führen. »Anders zeigen« meint aber auch die technisch korrekte Vorführung von Filmen, in guter Projektion, im originalen Bild- und Tonformat, in der originalen Vorführgeschwindigkeit, ohne störende Nebeneffekte. Heute sind bewegte Bilder allgegenwärtig, in Werbung, Unterhaltung und Nachrichten, auf Handys, Computern, Monitoren und Tablets, in allen Medien. Es fehlt zunehmend an Zeit, Konzentration und Bereitschaft, Filme von Anfang bis Ende anzuschauen, zusammen mit anderen im Dunkel des Kinos, ohne Unterbrechung und Ablenkung, und ohne eigene Steuermöglichkeit. Das Prinzip Kino als eigene Kulturtechnik droht verlorenzugehen. Sie zu erhalten, ihre Möglichkeiten aufzuzeigen und gar Begeisterung für sie zu entfachen, erfordert viel Arbeit, Engagement, Kreativität und Flexibilität. Dem muss sich das Filmmuseum stellen und den immer neuen Herausforderungen begegnen. Das Jubiläumsprogramm thematisiert einige Aspekte der Arbeit des Filmmuseums. Zwei Stummfilme vermitteln die Zeitstimmung des Jahres 1923, das von einer Verschärfung der sozialen Gegensätze durch die galoppierende Inflation geprägt war und in dem die Ruhrgebietsbesetzung und der versuchte Hitler-Putsch die demokratische Weimarer Republik an den Rand des Abgrunds brachten. Gleichzeitig blühte die Unterhaltungsindustrie. Robert Wiene versuchte, den unerwartet großen Erfolg von DAS CABINET DES DR. CALIGARI mit der sehr werkgetreuen Dostoevskij-Adaption RASKOLNIKOW zu wiederholen, in der er die Schauspieler des Moskauer Künstlertheaters in beeindruckenden expressionistischen Dekors agieren ließ. Karl Grune sicherte sich für seinen Film DIE STRASSE die Mitarbeit renommierter Künstler: Der Zeichner Erich Godal schuf das mehrsprachige Filmplakat, der Maler Ludwig Meidner das Szenenbild, das Schrifttafeln und Uniformen abstrahierte und internationalisierte. Beide Filme waren vor allem für den Export in Länder mit starker Währung bestimmt und konnten nur aus unvollständig überlieferten und stark veränderten Auslandskopien rekonstruiert werden. Mark Rappaport, Orson Welles und Alexander Kluge zeigen, wie man mit Filmgeschichte kreativ umgehen kann, gängige Konventionen überwindet und innovative essayistische Wege beschreitet. Orson Welles' erst nach seinem Tod überraschend aufgefundener Film PORTRAIT OF GINA mit der kürzlich verstorbenen Gina Lollobrigida eröffnete in der vom Filmmuseum restaurierten Fassung das diesjährige Filmfestival von Venedig. Mark Rappaports MARRIAGE OF GRETA GARBO AND SERGEI EISENSTEIN und L'ANNÉE DERNIÈRE À DACHAU erleben im Filmmuseum ihre Kinopremieren. Die Kurzfilme von Katja Raganelli und Flo Nordhoff sind Münchner Produktionen, die jahrzehntelang in völlige Vergessenheit geraten waren und erst kürzlich wiederentdeckt und restauriert wurden.
Das Filmmuseum dankt dem Publikum, dem Kulturreferat, dem gesamten Stadtmuseum, der Filmwirtschaft und den Filmarchiven, vielen Kulturinstitutionen und Kulturinitiativen, der Münchner Politik und der Münchner Presselandschaft für die Unterstützung und Wertschätzung seiner Arbeit. Last but not least sei der gemeinnützige Verein Münchner Filmzentrum – Freunde des Münchner Filmmuseums (MFZ) genannt, der viele Projekte des Filmmuseums initiiert, mit Publikationen begleitet, finanziell gefördert und selber durchgeführt hat. Er wurde am 6. Dezember 1973 gegründet und feiert dieses Jahr sein 50-jähriges Bestehen.
Stefan Drößler
Zum pdf der Filmreihe mit allen Titeln und Terminen.
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Montags geschlossen
MittwochAbendGeöffnet!
Jeden 2. Mittwoch im Monat sind ausgewählte Ausstellungen bis 20.00 Uhr geöffnet.
FreitagNACHTSgeöffnet!
Jeden 2. Freitag im Monat ist die Ausstellung "Nachts. Clubkultur in München" bis 22.00 Uhr geöffnet.
Filmmuseum – Vorstellungen
Dienstag - Donnerstag 19.00 Uhr
Freitag - Samstag 18.00 Uhr und 21.00 Uhr
Sonntag 17.00 Uhr
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S/U-Bahn Station Marienplatz
U-Bahn Station Sendlinger Tor
Bus 52/62 Haltestelle St.-Jakobs-Platz
Kontakt
St.-Jakobs-Platz 1
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